Augenblicke, in denen die Zeit sich spiegelt

Konzertenvironment für Videoprojektionen, Zuspielband und Live-Musiker

Musik: Franz Martin Olbrisch

Videoproduktion: Beate Olbrisch und Franz  Martin Olbrisch

Kompositionsauftrag der Stadt Witten

Uraufgeführt am  26. April 2008 im Märkischen Museum der Stadt Witten


Augenblicke, in denen die Zeit sich spiegelt basiert auf der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Wittener Tage für neue Kammermusik. Das Projekt benutzt das Archiv dieses Festivals als akustischen (und visuellen) „Steinbruch“. Es selektiert die für seine Aufgaben geeigneten Materialien aus eben diesem Archiv, löst sie aus ihren ursprünglichen Kontexten und fügt sie zu neuen Sinneinheiten zusammen.

Die verwendeten Klänge sind überwiegend solche, die in der jüngeren Musikgeschichte aufgetaucht sind, sich etabliert haben und zum Bestandteil der allgemeinen musikalischen Sprache wurden. Sie vergrößern den musikalischen Wortschatz und entwickeln so unabhängig vom Schöpfer ihr Eigenleben.

Das Werk, das sich ständig wiederholt, formt sich in vier Abschnitte. Jeder dieser Abschnitte bezieht sich in seiner formalen Gestaltung auf eine Komposition, die in Witten uraufgeführt wurde: infinito nero von Salvatore Sciarrino, furioso von Mathias Spahlinger, gran torso von Helmut Lachenmann und vortex temporum von Gérard Grisey. Diese Auswahl schafft vier deutlich voneinander abgesetzte Abschnitte und gliedert somit die Zeit.

Bei dem Werk Augenblicke, in denen die Zeit sich spiegelt handelt es sich um ein Environment, in dem der Besucher ein Teil der Szenerie ist. Durch die Videoeinspielungen und die visuelle Raumgestaltung mit ihrem Netz aus Reflexionen und Brechungen, entsteht ein Raum, in welchem der Besucher seine sichtbaren Spuren hinterlässt. Das Geflecht der Schatten, das die Besucher zwangsläufig in die Projektionen einbringen, ist durch die Komplexität der Spiegelungen schwer zu durchschauen.

Der Klangraum schafft seine eigenen Irritationen. Durch den Einsatz neuartiger Lautsprechertypen fokussiert sich der Klang an unerwarteten Stellen im Raum. Die Reflexionen treten deutlich in den Vordergrund, während die Klangquellen selbst nur teilweise wahrnehmbar sind – eine Analogie zu den Reflexionen der Spiegel.

Zu bestimmten Zeiten betreten kleine Gruppen von Musikern den Raum. Sobald sie zu spielen beginnen, ändert sich die Situation. Der Raum wird zum Aufführungsort und die Musiker lenken die Aufmerksamkeit auf sich. Durch den Wechsel zwischen medialem und konzertantem Raum innerhalb der gleichen Arbeit wird dieser Unterschied sinnlich wahrnehmbar. Ein zweiter Unterschied ist die Differenz zwischen Original und medialem Abbild, zwischen dem Klang eines Lautsprechers und dem eines Instruments. Der mediale Raum folgt anderen künstlerischen Intentionen als ein Konzert. Er verzerrt seine Relationen, schafft neue Kontexte, wird surreal bis in seine physikalischen, akustischen und bildnerischen Gegebenheiten.

Live-Konzert und medialer Raum stehen sich bei dieser Arbeit gegenüber. Der mediale Raum ist hier diskontinuierlich und fragmentarisch. Seine Bilder sind schattenhafte Erinnerungen an eine frühere Gegenwart. Ein Ort voller komplexer Bezüge und Reflexionen entsteht, der die Vielschichtigkeit des Ausgangsmaterials für den Besucher sinnlich wahrnehmbar werden lässt.

Die Arbeit entstand mit freundlicher Unterstützung des Elektronischen Studios der TU-Berlin.