Wichtigkeit ...?

In diesem Semester möchte ich einen Themenkreis diskutieren, mit dem wir ständig konfrontiert sind und der zunächst nicht mit EM im Zusammenhang zu stehen scheint; es ist die Frage nach der "Wichtigkeit", auch der von EM bzw. von EM-Werken.

Eine häufig gestellte Frage ist nämlich, welche EM-Werke "wichtig" sind und beispielsweise herangezogen werden bei der Quellenkunde, bei der Beurteilung geschichtlicher Abläufe, bei formalen Erläuterungen in Vorlesungen, in Büchern. Und schon heißt es:
Für WEN ist denn WAS wichtig, zu welcher Zeit und bei welcher Gelegenheit? Warum ist etwas wichtig für mich und nicht für dich? Was ist überhaupt wichtig (und was ist dagegen unwichtig?)? Ist die Wertung "dies ist wichtig" wirklich wichtig?

Was wichtig ist, das hängt individuell von dem Fragesteller selbst ab und von seinen eigenen aktuellen Wichtigkeitskriterien - etwa geschichtlichen Kriterien, dem Bekanntheitsgrad als Spiegel der Publikationsdichte, dem Kontext zur momentanen Konzertsituation oder zu einschlägigen Lehrveranstaltungen, Kriterien aus technischer und/oder ästhetischer Sicht, vom Materialgedanken her etc.

Schauen wir mal auf den Begleittext zum Internationalem digitalen elektroakustischen Musikarchiv -> IDEAMA (ZKM Karlruhe):


<< Zitat Anfang Ausschnitt:
Das Internationale digitale elektroakustische Musikarchiv IDEAMA wurde 1988 von Max Mathews, Johannes Goebel und Patte Wood initiiert, die zu diesem Zeitpunkt alle Angehörige des CCRMA der Stanford University waren. 1990 entstand IDEAMA dann in der Kooperation zwischen dem neugegründeten ZKM in Karlsruhe und dem CCRMA. Seine Aufgabe war es, weltweit die wichtigsten frühen Werke der elektroakustischen Musik vor dem Verfall zu bewahren, zu sammeln, zu erschließen und öffentlich zugänglich zu machen, indem sie auf ein digitales Medium übertragen wurden.
Die im IDEAMA tätigen Gremien waren: das "Executive Committee", dem Vertreter der beiden Gründungsinstitutionen angehörten, das "Advisory Board", dem in beratender Funktion Vertreter der Partnerinstitutionen angehörten, das International Board, dessen Mitglieder die internationale Reputation und Politik des Archivs unterstützten und die beiden "Regional Selection Committees".
Das ZKM-Gremium war für die Musik Europas, das CCRMA-Gremium für die Amerikas und Asiens zuständig. Das erste offizielle Treffen aller Mitglieder des europäischen Auswahlgremiums war das Karlsruher IDEAMA-Symposium 1992, bei dem die verbindliche Aufstellung des europäischen Beitrages zur gemeinsamen Basissammlung des IDEAMA und ein Kriterienkatalog zur Einordnung elektroakustischer Musik beraten und beschlossen wurde.
Alle von den Auswahlgremien ausgewählten Werke, von den Anfängen 1929 bis zum Jahr 1970, wurden zusammengefaßt zur offiziellen IDEAMA-Titelliste, die 708 Werke enthält, von denen allerdings 138 nicht mehr aufgefunden werden konnten. In die Sammlung fand bislang unbekannte, neu erschlossene Musik ebenso Eingang, wie kommerziell erhältliche Werke, die für die Zeit gesammelt werden, in der sie nicht mehr auf dem Markt sind.
Strukturell besteht das IDEAMA aus den beiden Gründungsinstitutionen ZKM und CCRMA und Partnerinstitutionen, die selbst Materialien sammeln und produzieren, sowie den Affiliate-Institutionen
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Zitat Ende>>


Die Idee des IDEAMA Karlsruhe war ja die, dem Publikum zu signalisieren, welche ca. 600 Werke die "wichtigsten" (der Weltgeschichte) sind; IDEAMA rekrutierte sich aus der Meinung einer wichtigen Jury, nicht mehr und nicht weniger! Ist die Jury auch jetzt noch wichtig? Werden in wenigen Jahren Mitglieder der Jury überhaupt noch bekannt sein? Pointiert: werden die Namen ZKM und CCRMA nicht viel wichtiger als die wichtigen Werke selbst gemacht??
Kriterienkatalog?? Einordnung?? beschlossen?? Partner (Kunstpartner - Lebenspartner - wichtige Partner)?? Materialien sammeln?? Reputation???

Nun, wo wir ständig Aussprüche lesen wie "der beste Film aller Zeiten" (und ein bisschen ist das IDEAMA ja das beste Archiv aller Zeiten, nicht?), gehört eine Diskussion auf den Tisch, was es denn ist, das jene "wichtig" nennen. "Wichtigkeit" und seine gleichzeitige bushige Trennung in Gut und Böse (vertuscht: gut und schlecht), der Dualismus von Erhalten / Wegwerfen, --- sozusagen die 1-Bit-Fassung einer digitalisierten Werte-Weltordnung von Musik.

Und doch: ist da für mich und für dich etwas, was als wichtig benannt sein kann, fliehend im Zeitwandel und, auf die Waage gelegt, mal runter und mal rauf zeigend??

Zu diesem Disput suche ich Teilhaber!

Folmar Hein