Ein Fachgebiet erinnert sich

{an Osaka}

Anfang 1969 erteilte die Bundesregierung nach einer Änderung des künstlerischen Konzepts für den Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung'70 in Osaka dem Fachgebiet Kommunikationswissenschaft einen Auftrag für die elektroakustische Gestaltung des geplanten Auditoriums und die Koordination der Realisation der Auftragskompositionen zeitgenössischer deutscher Komponisten.

Das Fachgebiet, das unter der Leitung von Prof. Fritz Winckel stand, übernahm die Aufgabe, obwohl es nur noch neun Monate bis zur Eröffnung der Weltausstellung waren. Dabei mußten die bereits weit fortgeschrittenen Arbeiten an dem von Prof. Fritz Bornemann entworfenem Pavillon berücksichtigt werden.

In Zusammenarbeit mit Prof. Blacher, Direktor der Hochschule der Künste, der ebenfalls einen Kompositionsauftrag erhalten hatte, Prof. Fritz Winckel und Dipl.-Ing. Manfred Krause wurde ein Konzept für das auf Ideen von Prof. Fritz Bornemann / Karlheinz Stockhausen beruhende "Kugelauditorium" erarbeitet. Um allen musikalischen Anforderungen gerecht zu werden, wurde die von Stockhausen schon 1952 vorgetragene Idee, einen relativ halligen Raum zu schaffen, aufgegeben, da bei einem vorgesehenen Durchmesser von knapp 30 Metern die Echoeffekte und Brennpunktbildungen stark hervorgetreten wären.

Das neue Konzept, echte Raummusik mit sich bewegenden Schallquellen zu realisieren, erforderte eine möglichst kleine Nachhallzeit und daher gut schallabsorbierende Wände. Für die Simulation bewegter Schallquellen, beruhend auf der von der Stereophonie bekannten Tatsache der Phantomschallquellen, sollten 50 Lautsprechersysteme größerer Leistung gleichmäßig auf der Kugelfläche verteilt werden. Vom Architekten war vorgesehen, das Publikum auf einem Gitterrost in knapp halber Höhe in der Kugel zu platzieren, weshalb der Schall auch von unten kommen konnte.

Da auch die Planung der Firma Siemens für die elektroakustische Ausstattung zum Zeitpunkt der Auftragsübernahme durch das Fachgebiet schon weit vorangekommen war, mußte die elektronische Ergänzung für die Bewegungssteuerung als externe Einrichtung geschaffen werden. Das vorgesehene Mischpult war für acht getrennte Tonkanäle ausgelegt. Die mehrkanaligen Tonaufnahmen sollten auf Mehrspur-Tonbandmaschinen gespeichert werden. Von der Firma Siemens standen hierfür sogenannte Perfo-Maschinen zur Verfügung, wie sie für die Aufnahmetechnik in Filmstudios verwendet wurden. Da es sich um 4-Spur-Maschinen handelte, sollten zwei von ihnen mechanisch gekoppelt werden. Es gab seinerzeit noch keine Rechner für die Steuerung akustischer Signale hoher Qualität. Daher wurde eine Steuerung mit Tonfrequenzen konzipiert, die sieben der acht Kanäle steuern sollte, während der achte Kanal die Steuerfrequenzen selbst aufnehmen sollte. Zugleich wurde der Vorschlag gemacht, auch die Steuerung der vorgesehenen 50 gleichmäßig auf der Kugelfläche des Auditoriums verteilten Lichtfelder durch Tonfrequenzen vorzunehmen, die der Steuerkanal noch aufnehmen konnte. Die Firma Siemens konnte von den Vorschlägen überzeugt werden und in enger Kooperation und hervorragender Kollegialität wurde das Konzept in die Realität umgesetzt.

Für die technische Entwicklung der erforderlichen Zusatzelektronik wurde Dipl.-Ing. Claus Amberg gewonnen, der zusammen mit einem Stab von 12 studentischen Hilfskräften diese Aufgabe in der noch verfügbaren Zeit am Fachgebiet bewältigte. Parallel zur technischen Realisation wurden vom damaligen Tonmeister Rüdiger Rüfer die Auftragskompositionen bearbeitet. Die Komponisten waren, neben Boris Blacher, Eberhard Schoener, Erhard Großkopf, Bernd Alois Zimmermann und Gerd Zacher. Die Komposition Blachers wurde, wie alle anderen elektronischen Werke von ihm, im TU-Studio realisiert. Die Kompositionen der anderen lagen als Tonbänder vor und mußten für die Perfo-Maschinen aufbereitet werden. Dazu mußten mit den Komponisten die entsprechenden Raumverteilungen abgesprochen werden. In den Hörsälen H107 und H110 des Hauptgebäudes der TU wurden provisorisch Lautsprecher aufgehängt, um die Raumwirkung zu studieren. Als eine besondere technische Raffinesse wurden für die Bewegungssteuerung der Ton- und Lichtquellen "Sensorkugeln" gebaut, auf deren Oberflächen in Projektion auf die Wandfläche des Auditoriums sich Druckknöpfe befanden, mit denen die Intensität der Töne bzw. der Lichter kontinuierlich beeinflußt werden konnte. Mit einer "Kontrollkugel", bestückt mit kleinen Lämpchen, konnte die Funktion der Elektronik laufend überwacht werden.

Neben den Kompositionen für das Kugel-Auditorium hatte Boris Blacher die Aufgabe übernommen, den Begleitton für eine Reihe von Filmen für die anderen Teile des Deutschen Pavillons zu komponieren. Die Realisation übernahm selbstverständlich Rüdiger Rüfer. Insgesamt war von ihm eine beachtliche logistische Aufgabe zu bewältigen. Von allen Perfo-Tonbändern mußten reichlich Kopien hergestellt werden, da - im Gegensatz zu normalen Tonbändern - der Abrieb der Magnetschicht infolge des relativ starren Filmmaterials, die Lebensdauer eines Bandes bei täglich 8-stündigem Betrieb auf höchstens zwei Wochen veranschlagt werden konnte. Die Weltausstellung aber ging über ein halbes Jahr.

Pünktlich zwei Monate vor dem Eröffnungstermin wurden die vielfach getesteten TU-Geräte per Flugzeug nach Osaka transportiert. Claus Amberg reiste mit; er sollte vor Ort den Einbau und die ersten Probeläufe überwachen. Einen Monat vor der Eröffnung fuhren auch Prof. Winckel und Manfred Krause sowie die beteiligten Komponisten nach Japan, um bei der Endinstallation und der musikalischen Abstimmung dabei zu sein. Sie trafen auf ein ziemliches Chaos, weil der Pavillon noch eine Baustelle war. Was zu Hause ein einfach lösbares Problem gewesen wäre, war vor Ort nur schwer und nur mit großem Zeitaufwand zu erledigen.

Etwa zwei Wochen vor Beginn der Weltausstellung konnte mit der Schulung der japanischen Studenten begonnen werden, die während der Laufzeit der Ausstellung die Vorführungen der Kompositionen selbständig durchführen sollten. Es war geplant, daß täglich von 9 bis 14 Uhr im Viertelstundenrythmus die Werke aller Komponisten - außer Stockhausen - zu Gehör gebracht werden und daß ab 15 Uhr K. Stockhausen selbst seine Werke aufführt. Für jedes Werk mußte die von den Komponisten gefundene optimale Einstellung am Mischpult und die Zuordnung zu den 50 Lautsprechern von Hand hergestellt werden, da eine Programmsteuerung damals nicht verfügbar war. Für die Dauer der Ausstellung wurde diese Arbeit von den Studenten mit größter Genauigkeit geleistet.

Wenige Tage vor dem offiziellen Eröffnungstermin der Weltausstellung wurde klar, daß der Deutsche Pavillon als Ganzes nicht fertig werden würde, ein Schicksal, das er sich mit einer Reihe anderer Pavillons teilen mußte. Nur das "Kugelauditorium" war betriebsbereit, dank der Tag- und Nachtarbeit aller Beteiligten. Nach der Eröffnung wurde der Besucherstrom an den unfertigen Teilen des Pavillons vorbeigeleitet und schubweise zu je 500-600 Personen eingelassen. Man gewöhnte sich an das Gedränge, denn das geduldige, meist aus Japanern bestehende Publikum war sehr diszipliniert, so daß der Zeitplan fast immer eingehalten werden konnte.

Einige Tage nach der Eröffnung reisten die "Manager" ab und überließen das Feld dem Betriebspersonal. Für die technische Überwachung der ton- und lichttechnischen Steueranlage der TU wurde ein Student, Herr Hotz, gewonnen, der einen Monat nach Beginn der Ausstellung für den "Rest" der Zeit nach Osaka ging. Der Betrieb der Anlage in dieser Zeit war nahezu fehlerfrei, obwohl während der Regenzeit im Juli/August der untere Teil des Kugelauditoriums unter Wasser stand; Verstärker und Lautsprecher mußten auf Blöcke gestellt werden.

Nach Ende der Ausstellung kehrten einige Geräte nach Berlin zurück. Eine Zeitlang war darüber diskutiert worden, das "Kugelauditorium" abzubauen und an einem geeigneten Ort in Deutschland wieder aufzubauen. Dieser Plan scheiterte an Geldmangel.

Das Fachgebiet hat in der Folgezeit weiter an den Problemen der vielkanaligen Wiedergabe elektroakustischer Musik gearbeitet. Mit neuen, besseren Komponenten für die Pegelsteuerung, mit dem Einsatz von Computern und der Entwicklung von Steuerprogrammen können heute die Bewegungen von Phantomschallquellen mit einfachen Befehlen und mit großer Genauigkeit erzeugt werden. Ein Beispiel für eine derartige Steuerung ist im "Tonraum" Bernhard Leitners realisiert, der nahe dem Lichthof im zweiten Geschoß des TU-Hauptgebäudes zu finden ist und täglich zu bestimmten Zeiten ein Programm bietet.

Prof. Dr.-Ing. Manfred Krause