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Manfred Krause

Mein Weg im Studio für elektronische Musik

Als ich im Jahre 1953 mein Studium der Elektrotechnik an der TU Berlin begann, gab es noch das »Humanistische Studium«, das für alle Ingenieurstudenten obligatorisch war. Die Studenten konnten (oder mußten) aus einem geisteswissenschaftlich strukturierten Kanon vier Gebiete wählen, um einer einseitig technologischen Ausbildung zu entgehen. Meine Wahl fiel auf Anthropologie (bei Prof. Muckermann), Biologie, Geschichte (bei Prof. Treue) und Studiotechnik (bei Priv. Doz. Winckel). Winckels Lehrveranstaltungen kamen meinem Steckenpferd Tonbandtechnik/Radiotechnik entgegen und so war es nicht verwunderlich, daß ich nicht nur passiver Hörer der Vorlesungen blieb. Mit Mißtrauen beobachtet, kamen Kontakte mit den damaligen »Hilfsassistenten« Schreiber und Giese sowie dem Rundfunkmechaniker Bierwisch zustande. Ohne damit studienrelevante Leistungen zu erbringen — die mußten im eigentlichen Fach »Studiotechnik« erbracht werden — schwand das Mißtrauen Winckels, als sein Mischpultprojekt mehr und mehr reale Form annahm, weil letzten Endes jede lötende Hand gebraucht wurde. Meine Zuständigkeit war, kurz vor der Premiere 1959 die Aussteuerungsmesser zu installieren und einen Spitzenwertanzeiger mit »magischem Strich« zu bauen. Unter dem »Hilfsassistenten« Udo Schmidt habe ich dann den Übungsbetrieb zur Studiotechnik von Grund auf gelernt und verdanke ihm besonders auf dem Gebiet der Magnettontechnik sehr viel.

Dann kam eine Zeit, in der ich mich stärker mit den Problemen der elektronischen Musik auseinandersetzen wollte. Zusammen mit Dieter Braschoss machten wir erste Versuche zur Klangmontage.

Nach Abschluß meines Studiums der Starkstromtechnik trat Winckel an mich heran, ob ich Lust hätte, als Assistent in Musikwissenschaft zu arbeiten. Meine Aufgaben sollten die elektroakustische Betreuung der Lehrveranstaltungen von Prof. Stuckenschmidt, Dr. Langener und natürlich seiner eigenen sein. Statt nun z. B. zu Siemens zu gehen, sagte ich nach kurzem Bedenken zu, da es immer etwas spannender ist, für einige Zeit hobbynahe Aktivitäten zu pflegen und eventuell eine Dissertation anzufertigen. Das war 1961.

Die Aktivitäten im Studio waren geprägt von den Experimenten zur elektronischen Musik, vor allem war H. F. Hartig damals häufig im Studio, für den Braschoss und ich Klangmischungen im Sinne der »musique concrète« für seine Studiooper »Escorial« realisierten und zugleich erste Raummusikstudien mit bewegten (rotierenden) Klängen machten. Die Aufführung von »Escorial« im Studio der Akademie der Künste war leider z.T. durch technische Pannen getrübt, weil es nicht gelang, die notwendige Synchronisation und Lautstärkebalance sauber hinzukriegen.

Eine Bewährungsprobe für mich war die Vortragsreihe »Musik im technischen Zeitalter«, die Prof. Stuckenschmidt zusammen mit dem Sender Freies Berlin in der Kongreßhalle durchführte. Sowohl organisatorisch als auch technisch, weil die von den Komponisten gelieferten Materialien aufbereitet werden und die technischen Anlagen installiert werden mußten. Da der TU noch keine Mehrspurtonbandgeräte zur Verfügung standen, war die Hilfe des SFB unumgänglich, und hier zeigte sich, daß zwischen der eher halbprofessionellen Ausstattung der TU und der professionellen des SFB so manche Klippe (Anpassung, Steckverbindungen) überwunden werden mußte, die aber auch z.T. Zuständigkeiten betraf. So erlebte ich in der Veranstaltung — alle Sendungen gingen live über das dritte Fernsehprogramm —, bei der Luigi Nono eingeladen war, eine meiner öffentlichen Pleiten, als nämlich beim Start des 4-Kanal-Magnetophons statt der erwünschten Klänge nur ein klägliches Piepsen zu hören war. Mein hastiger Griff zum Telefon, um die SFB-Leute zu fragen, was denn los sei, wurde von der aufmerksamen Kameraführung voll registriert und natürlich gesendet. Später ergab die Fehlerkontrolle eine unterbrochene Masseleitung im Vielfachsteckfeld des SFB. Nono glaubte an Sabotage, wie mir viel später berichtet wurde.

Wie denn unterbrochene Kabel einige weitere Pannen bestimmten. Bei MIT-TUB-Konferenz über Computertechnik in Hochschulen 1968 war es ein Videokabel im damals neuen Hauptgebäude der TU. Eine Satellitenübertragung sollte vom Empfänger im Studio 108/109 zum Audimax weitergeleitet werden. Alle Proben an den Tagen zuvor waren perfekt gelungen. Am Tage der Präsentation war kein Bild auf der Projektion. Ursache: In der Nacht hatten Bauarbeiter den Kabelkanal, den die Starkstromelektriker nicht als für sie wichtig identifizieren konnten, einfach durchgesägt!

1965 war wesentlich geprägt von der Studioarbeit an der Blacher-Oper »Zwischenfälle bei einer Notlandung«, die viele Versuche mit Geräuschaufnahmen und -verfremdungen mit sich brachte. Neue Komponenten der Klangbeeinflussung, insbesondere der Hüllkurvensteuerung wurden entwickelt und u.a. auch ein altes Tonbandgerät mit variabler Bandgeschwindigkeit (Tonschreiber »b«) mit einem leistungsstarken Generator für die geschwindigkeitsbestimmende Antriebsfrequenz umgerüstet.

Ein besonderer Höhepunkt der Arbeit war 1969/70 der Auftrag, die steuerbaren Komponenten für das Kugelauditorium der Weltausstellung EXPO’70 in Osaka zu entwickeln. Dies war insofern problematisch, weil die eigentliche Studioanlage von Siemens nicht verändert werden durfte. Die Stockhausensche Version des Kugelauditoriums selbst mußte, um ortungsgerechte Beschallung zu erreichen, auch in Bezug auf die Raumakustik verändert werden (kürzere Nachhallzeit). Sieben Lautsprecherringe in verschiedenen Höhen, dazu ein für damalige Zeiten sehr leistungsstarker Tieftonteil am Grunde des Kugelauditoriums sorgten für einen allseitigen Raumklang. Das Publikum bewegte sich nämlich auf einem schalldurchlässigen Rost, so daß es auch Schall von unten erreichte.

Da neben Stockhausen auch andere zeitgenössische deutsche Komponisten zu Gehör gebracht werden sollten, wurden deren Kompositionen nach ihren Angaben auf sieben Spuren einer Magnetton-Anlage (Film-Perfo-Maschinen, 2x4 Spur mechanisch gekoppelt) gebracht. Die achte Spur diente der Steuerung der Lautstärke, d. h. der Bewegung der Phantomschallquellen und der Raumbeleuchtung, ebenfalls mit Bewegungseffekten. (Letzteres wurde übrigens dann nicht benutzt, obwohl vorher die Planer alle dafür waren.) Zu den technischen Vorbereitungen hatten wir Gelegenheit, nach Osaka zu fahren. Das war eine hektische Zeit, und wir hatten nur wenig Gelegenheit, etwas von Japan zu sehen. Das Tageslicht war selten, da wir von morgens acht Uhr bis abends meist elf Uhr im Auditorium oder den danebenliegenden unterirdischen Ausstellungsräumen arbeiteten.

Am Tage der Eröffnung war vom deutschen Pavillon nur das Kugelauditorium betriebsfähig, die Ausstellungshallen folgten erst eine Woche später. Parallel zur Osaka-Arbeit habe ich meine Doktorarbeit zu Ende gebracht. Zwei Jahre später folgte die Habilitation. Als Assistenzprofessor übernahm ich dann erhebliche Anteile der Lehre, vor allem die Studiotechnik. Die gemeinsame Arbeit mit Boris Blacher war immer wieder bestimmt durch Versuche auf dem Gebiet der elektronischen Signalverarbeitung. Sie wurde dann abrupt durch den Tod Blachers im Januar 1975 unterbrochen. 1976 schied Prof. Winckel aus dem aktiven Dienst in der TU aus. Ich erhielt ein Arbeitsangebot aus dem Umweltbundesamt für das Gebiet Lärmbekämpfung, das ich aus Zweckmäßigkeitsgründen annehmen mußte. Als Privatdozent habe ich die komplette Lehre des Faches Kommunikationswissenschaft weitergeführt. Durch den unermüdlichen Einsatz der damaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter, besonders von Dipl.-Ing. Ingrid Bihler und Dipl.-Ing. Rainer Lutter gelang es, das Fachgebiet zu erhalten und einen Magisterstudiengang Kommunikationswissenschaft zu definieren, der alle bürokratischen Hürden übersprang.

Zum 1. Januar 1979 wurde ich dann als Professor an der TU berufen, um diesen Studiengang zu übernehmen. Die Tonmeisteraufgaben im Studio hatte seit 1974 Folkmar Hein übernommen, und damit die Nachfolge von Rüdiger Rüfer angetreten.

Der Studiengang Kommunikationswissenschaft entwickelte sich sehr schnell zu einem Renner. Die Zahl der Studierenden stieg so schnell an, daß sie weder personell noch ausstattungsmäßig zu verkraften war. Seit 1986 mußte ein TU-interner numerus clausus eingeführt werden, der die Zugangszahl auf 70 Studierende im ersten Hauptfach pro Jahr begrenzte. Zum Wintersemester 1988/89 wurden alle Zugangsbeschränkungen aufgehoben, daraufhin kamen fast 120 Neue. Die Überlast war gegeben, zusammen studierten 380 das Fach! Seither ist die Zahl der Studierenden nahezu konstant auf dieser Höhe geblieben. Zu dieser Zahl müssen immer noch pro Jahr 10 Tonmeister aus der HdK gerechnet werden.

Der Studiengang mit seinen vielfältigen Aufgaben machte eine Aufgabenteilung nötig, so daß die Arbeit im Studio ganz in die bewährten Hände von Folkmar Hein überging. Seiner Kompetenz und seinem Einsatz ist der Erfolg des Studios ausschließlich zu verdanken.

Manfred Krause