Metall

für Stimme, Gong, Tamtam, Computer und elektronische Klangquellen

R.Pfrengle 1999/2001

für Amelia Cuni

Eine Reise nach Bali und Erfahrungen mit klassischer Indischer Musik, speziell dem Dhrupat, gaben den Anstoß zu dieser Komposition.

14 verschiedene Frequenzen im Innern eines balinesischen Gongs bilden die Grundlage für die Tonhöhen von Stimme und synthetischen Klängen. Keine dieser Tonhöhen stehen zu einer anderen in einem exakt ganzzahligen Verhältnis.

Sie dienen auch als Ausgangspunkt für eine Art Hintergrundklang, der meist nicht in seiner Gesamtheit erklingt, sondern Ausgangspunkt für Tonfolgen und Klangbewegungen ist. Unter Einsatz von Live-Elektronik ist es möglich, durch Spektralanalyse des Gongs über einen Computer im Moment des Spielens synthetische Klänge zu beeinflussen, die Gongklänge zu unterstützen oder in ganz andere Klangbereiche wegzuführen.

Dem Gong ist ein Tamtam zur Seite gestellt, das die geräuschhafte Seite von Metall repräsentiert. Die hier resultierenden Gegensätze von Ton und Geräusch werden nicht dialektisch gehandhabt, sondern repräsentieren die zwei Seiten ein und der selben Sache.

Schwebungen innerhalb metallischer Instrumente bilden die Grundlage der rhythmischen Bewegungsprozesse. Beschleunigung und Verlangsamung sind dominierende Dauernprozesse der Komposition. Sie werden zu Beginn des Stückes durch Schwebungen zwischen der Stimme und Sinustönen angedeutet.

In den meisten Teilen werden verschiedene Tonhöhen der Stimmskala durch bestimmte Glissandobewegungen zu Beginn des Tones typisiert. Diese Eigenarten der typisierten Tonhöhen finden sich auch in den rotierenden Tonhöhenstrukturen der bordunartigen Hintergrundklänge.

Weitere tonhöhenspezifische Attribute sind der jeweils zugeordnete Klang des Vokals und elektronische Modulationen bestimmter Tonhöhen. So erhalten verschiedene Tonhöhen verschiedene Funktionen wie Ruhe, Buntheit, Verletzlichkeit, Entfernung, Vereinsamung oder Mächtigkeit. Dieser Gedanke kommt aus der Beobachtung der Bedeutung von Tonhöhe, die der klassischen indischen Musik innewohnt. Sprachlaute dienen zunächst als Befehlsäußerung der Umschaltung zum nächsten Computer-Programmteil. In einem späteren Teil verselbständigt sich Sprache allerdings, ausscherend aus der Komposition, und wird vorübergehend musikalischer Gegenstand, der auch, wie die gesungenen Töne vorher, durch sein Spektrum synthetische Klangfolgen beeinflusst.

Die Thematisierung der Eigenart bestimmter Tonhöhen ist eine Reaktion des Komponisten auf den Einsatz von Tonhöhe in erster Linie als Konstruktionsmaterial.

Am Ende der Komposition, wenn die Tonhöhenskala der Stimme auf einen Ton reduziert ist, bleibt nur noch die Lautstärke als Steuerelement übrig. Sie wirkt sich auf Entfernungsdifferenzierungen des Stimmklanges aus.

Der Schluss beschränkt sich auf 3 verschiedene, leicht untereinander verstimmte C's, zwei trägt der Gong in sich, eines ist der Grundton des Tamtams.

Die Form der Komposition ist der eines Dhrupads angenähert. Nach vier einleitenden Teilen, die vier Haupttöne einführen, beginnt die eigentliche Komposition.

Die Grade des Einflusses von Stimme und Metall auf die elektronischen Reaktionen wechseln stark, sodass die Einflusszugehörigkeit nicht immer eindeutig wahrnehmbar ist. Diese Steuerungen wirken sich auf Vordergrundklänge, in geringerem Maße auch auf Hintergrundklänge aus. Der Einfluss ist also im Grade der Unmittelbarkeit gewichtet.

Der Bordunhintergrund besteht aus rotierenden Klangstrukturen, in der Hüllkurve von konstant über stimmhaft bis perkussiv schwankend. Ereignisfolgen werden nur da metrisch, wo sie sich auflösen.

Die Stimme singt ohne Vibrato, um die vergleichsweise langsamen kontinuierlichen Tonhöhenänderungen in Erscheinung zu bringen.

Die Tatsache der Konstruktion des Tonhöhenfundus für die Stimme aus dem Gongspektrum und der aus den Spektren der beiden Metallinstrumente resultierenden Grundlagen der synthetischen Klänge lässt die Komposition nur mit exakt diesen Instrumentenexemplaren aufführen. Zusätzlich macht die Tatsache, dass die Komposition ganz auf die Eigenheit der Sängerin in Stimmklang und Gesangstechnik eingeht, auch den Interpreten nicht austauschbar. Unterstützend wirkt hier die Absicht, die musikalischen Bausteine in ihrer Identität nicht in der Konstruktion zu versenken, sondern sie deutlich wahrnehmbar zu machen.

Die Elektronik wird durch keinen Schalter oder Regler gesteuert, sondern durch die akustischen Resultate von Stimme und Instrumenten. Wichtig ist hier, dass auch die Instrumente von der Sängerin gespielt werden, um die Einheit des Gesamtsystems aus Mensch, Instrumenten und Maschine zu unterstreichen.

Allerdings entstehen innerhalb des Stückes Entfremdungen von Teilen des Gesamtsystems, die das System nicht in Frage stellen, sondern lediglich die Teilerscheinungen des Systems vorübergehend in ihrer Funktion vertauschen (siehe z.B. die erwähnte Umfunktionierung von Sprachlauten oder der Anfang der Komposition, an dem der Gong einen synthetischen Tamtamklang auslöst), um neue Sichten des Systems anzustoßen.

Ziel der Komposition ist ein unspektakulärer Einsatz von Live-Elektronik, der der Sensibilisierung dienen sollte.

Gerade die Überschüttung mit multimedialen Reizen erfordert heute Vorsicht beim Einsatz technischer Mittel und eine Bewusstwerdung der Virtualität, die Technologie erzeugt.

Amelia Cuni ist eine italienische Sängerin, die eine lange Zeit ihres Lebens in Indien lebte und dort bei berühmten Sängern klassische indische Musik und Tanz lernte. Ihr intensives Verhältnis zum Ton und der Fähigkeit, Mikrotonalität erlebbar werden zu lassen, bewirkte eine starke Motivation, diesen Komposition zu schreiben. Gerade der Schritt in ein für sie und den Komponisten noch etwas fremdes Terrain machte die Zusammenarbeit mit ihr sehr lebendig und brachte reiche Erfahrungen.