29.10.01 MIDI-Geschichte

Die Geschichte von MIDI ist zwangsläufig, da das Format sozusagen "Industrie-generiert" ist, auch eine wirtschaftsorientierte Geschichte. MIDI ist keine von unabhängigen Institutionen geschaffene Norm, sondern ein Herstellerstandard. Dies hat für den Anwender zur Folge, dass die von mir eingangs erwähnte Kompatibilitätsdichte wieder — in Einzelfällen erheblich - eingeschränkt wird. Hier spielen z.T. wirtschaftlich-taktische Erwägungen der Hersteller eine Rolle, und manche Dinge geschehen hier auch schlicht aus Eitelkeit. Man kann aber sagen: Subsummierend ist der MIDI-Standard trotz aller Rufe von Kritikern derjenige, der am Besten funktioniert, weil er so einfach ist.

Die erste Version der MIDI-Spezifikation von 1983 ist Ergebnis eines Einigungsprozesses der Hersteller Sequential Circuits und Roland, ist also eine Absprache von Firmen, von Konkurrenten. Ein so entstandener Standard muss inhaltlich auch vom Vormachtstreben auf dem Markt geprägt sein. So sind Substandards wie General MIDI (GM, Roland), General Standard (GS, Roland) und Extended General MIDI (XG, Yamaha) Versuche, Kunden zu bewegen Produkte bestimmter Marken zu kaufen, respektive andere Hersteller zu nötigen, in eine bestimmte Richtung zu arbeiten. Klappt diese Nötigung, kann das dem Kunden sogar zu Gute kommen. Im Falle General MIDI, das sich bei Soundmodulen sehr vieler Hersteller als Kompatibilitätsfeature findet, ist es sogar so, dass viele MIDI-Anwender mit Produkten, die nicht GM-kompatibel sind, nichts anfangen kann (Alleinunterhalter/Keyboarder).

Markttechnisch sinnvoll erschien das Schaffen einer universellen Schnittstelle mit der Verbreitung von Synthesizern in der populären Musik.

 

Minimoog

Dies ist inetwa anzusiedeln mit der Entwicklung des Minimoog (Typ A im Jahre 1968, Prototyp; Typ D im Jahre 1970, Serienmodell, gebaut bis 1980; Typ E gilt als erster stimmstabiler Minimoog). Dieses Instrument ist noch als Minimoog F, mit serienmäßiger MIDI-Schnittstelle und RAM und ROM-Speicher ausgestattet, im Jahr 1996 angeboten worden. Er dient in Teilen immer noch als Vorbild für Software-Synthies wie Access Virus oder Clavia Nord Lead. Künstler wie Klaus Doldinger, the Beatles, Wendy Carlos sind Minimoog-User; Produzenten von House Music verwenden ihn heutzutage noch gern.

Der kleine Minimoog-Exkurs ist wegen der schon zäh zu nennenden Langlebigkeit des Instruments sinnvoll, hat es doch von seinen Erbauern mehr als eine Steuerschnittstelle verpasst bekommen, unter anderem Gate/CV und eben auch MIDI.

Vorläufer von MIDI

Der etwas dünne Klang früher (bezahlbarer) Synthesizer machte es oft notwendig, zwei Instrumente, leicht gegeneinander verstimmt (7 Cent klingt oft sehr gut), unisono (auf gleicher Tonhöhe) zu spielen. Da dies (besonders im Live-Betrieb) möglichst von einer Tastatur aus geschehen sollte, bedurfte es einer Art elektronischer Koppel, die, ähnlich wie bei einer Kirchenorgel zwei Werke durch mechanische Verbindung, hier also zwei Synthesizer miteinander verbindet.

Die Gate/CV-Methode, auch CV/Gate genannt (Control Voltage = Steuerspannung) beruht auf einem System, bei dem Tonhöhen durch Spannungswerte festgelegt sind. Solche Trigger/Gate-Ausgänge waren bei vielen Synthesizern durchaus vorhanden.

Die Übermittlung von weiteren Steuerbefehlen war nur unter der Inkaufnahme einer sehr aufwendigen Verkabelung möglich. Allein die Übermittlung mehrstimmigkeitsorientierter Steuersignale hätten für jede zu übertragende Stimme ein Kabel verlangt. Weiterhin ermöglichte CV/Gate die Übertragung anderer Befehle nur in geringem Umfang, da bei analoger Steuerung die nach unterschiedlichen Aufbauarchitekturen und Steuerungshierarchien große Kompatibilitätsprobleme entstehen. Die Lösung musste, wenn man Verkabelungsexzesse in Studios und vor allen Dingen auf Bühnen vermeiden wollte, eine digitale, eine serielle Schnittstelle sein. Sie ermöglicht eine (scheinbar gleichzeitge) Steuerung zweier unterschiedlich konzipierter Instrumente im Master/Slave-Betrieb über ein Kabel.

USI

Die USI-Schnittstelle (Universal Synthesizer Interface), 1981, wurde von Dave Smith und Chet Wood von Sequential Circuits mit Tom Oberheim (Oberheim) und Ikutaroo Kakehashi (Roland) entwickelt. Es wurde 1981 auf dem Kongress der AES (Audio Engineering Society) vorgestellt und stellt den unmittelbaren Vorläufer von MIDI dar.

MIDI

Die Notwendigkeit einer solchen Steurung wie MIDI beruht, wie letztes Mal erwähnt, auf der Tatsache, dass die populäre Musik mit elektroakustischer Musik bedient werden musste. Populäre Musik muss Qualitäten aufweisen, die öffentlich zugänglich sind. (Leichtigkeit, Eingängkeit etc. sind Parameter, deren virtuose Anwendung "Kunst" zu nennen sind). Das bedeutet für die Technik die zur Ausführung benutzt wird, dass sie einwandfrei funktionieren muss.

Nach dem Erscheinen der USI-Schnittstelle im Jahr 1981 wurde dann auf der NAMM-Show 1982 (North American Music Merchant Convention) ein MIDI-Prototyp vorgestellt. Das Markteinführungsjahr ist 1983, da hier auch die ersten beiden MIDI-kompatiblen Synthesizer; SC Prophet 600 und Roland Jupiter 6 in Serie gingen. Im selben Jahr wurde auch die IMA (International MIDI Association) gegründet. Ebenfalls 1983 erschien das erfolgreichste Synthesizermodell alller Zeiten, der Yamaha DX7, der nach dem FM-Synthese-Prinzip arbeitete und für ein Jahrzehnt (und länger) den Sound aller Musiktitel, in denen ein E-Piano gebraucht wurde, geprägt hat.

Die im DX7 angewandte FM-Synthese ist maßgeblich von John Chowning, Kompositionslehrer an der Universität Stanford entwickelt worden. Die Gelder, die aus dem Verkauf der Lizenzen von FM an Yamaha für zehn Jahre erwirtschaftet wurden, kommen der Stanford University bis heute zu Gute. Ein Beispiel, wie eine Hochschule der Industrie zuliefern kann und dabei noch für das eigene Wohl sorgt, dies freilich nur auf Umwegen, denn Chownings Bemühungen wurden zunächst durchaus nicht von der Stanford Universität belohnt. Seine Forschungen über Frequenzmodulation gehen auf das Jahr 1967 zurück. Die Universität war jedoch der Ansicht, dass die Kompositionslehre Chownings Aufgabe sei und nicht die Klangforschung. Er wurde gefeuert und erst, nachdem Yamaha sich für den Abschluss einer Zehn-Jahres-Lizenz interessierte, eiligst aus Europa zurückgeholt.

 

Roland Jupiter 6

 

Sequential Circuits Prophet 600

Yamaha DX7

 

 

MIDI-Boom

Mit das Erscheinen des DX7 entstand ein MIDI-Boom, verbunden mit einem Softwaregeschäft ohne Gleichen. Die Programmierung von Klängen war, bedingt durch die abstrakte Eingabemethode mit Hilfe von Zahlen auf einem winzigen Display mit einem verwirrenden Softbutton-System, so kompliziert und umständlich, dass sogar Leute, die das Instrument "verstanden" hatten, durchaus von Glück sprachen, wenn sie einen Sound für den DX7 (und dessen abgespeckten Versionen) programmiert hatten, der auf Anhieb die Eigenschaften hatte, die man sich vorgestellt hatte. Auf Grund dessen entwickelte sich ein Submarkt, auf dem Sounds für DX7 und andere Synthesizer angeboten wurden.

Dies geht auf die "Programmierfaulheit" der Anwender MIDI-Technologie zurück. Es war durchaus üblich, Klanggestaltungen am Instrument nicht selbst vorzunehmen, sondern Presets und von der Industrie angebotene Sounds zu verwenden und von dem teuer erworbenen Synthesizer keine Ahnung zu haben. Die Kaufsounds wurden dann verwendet, um mit Hilfe von (Soft- und Hardware-) Sequenzern Songs zu basteln, die auf Compactcassette überspielt und an Musikproduktionsfirmen geschickt wurden, in der Hoffnung, einen Hit zu landen.

In Deutschland fand man die besten Soundprogrammierer in der damaligen DDR, wo ein Soundmarkt entweder als Schwarzmarkt existierte oder Sounds nur zu schwindelerregenden Preisen zu kaufen waren. Die Geräte wurden aus dem Westen eingeschmuggelt (z.B. über Leute, deren Diplomatengepäck nicht überprüft wurde) und dann illegal erworben; ein DX7 kostete damals zwischen 40 000,- und 50 000,- Ost-Mark. Hatte man das ersehnte Instrument dann endlich in Besitz, wurde es nicht nur wie im Westen "angetestet", sondern gründlich ausprobiert und seine Bedienung erlernt.

Im Westen schossen "Fachzeitschriften", die Berichte und Tests über neu erschienene MIDI-Instrumente brachten, wie Pilze aus dem Boden, und es hielten sich nur die, die auf Dauer freundliche Bewertungen veröffentlichten. Solche Magazine wie "Keyboard", "Keys" etc., die ja auch heute noch existieren, bestehen zu wesentlichen Teilen auch aus privaten und geschäftlichen Annoncen. Es empfiehlt sich für heutige MIDI-Anwender trotz der nicht immer seriösen Gebahren solcher Blätter, sie ab und zu doch zu lesen, da sie über das Marktangebot informieren.

 

 

Entwicklungen in des MIDI-Protokolls

Wie bereits erwähnt, ist die Entwicklung des MIDI-Protokolls nicht der Hauptträger für die zunehmende Professionalität der MIDI-Technologie, sondern die Hard- und Software-Instrumente, die aus der ursprünglichen Synthesizersteuerung ein System für nahezu jede Audioanwendung gemacht haben. Die von 1985 stammende Version 1.0 des MIDI-Protokolls ist mittlerweile bei Version 4.x angekommen.

In Stichworten:

1985 MIDI 1.0, veröffentlicht durch die IMA, neben den Firmen Sequential Circuits und Roland schließen sich an: Big Briar, Bontempi, Kawai, Korg, Lexicon, Moog, Octave Plateau, Passport Design, Siel, Yamaha.

1986 MIDI Sample Dump Standard

1987 MIDI Time Code (MTC) Standard MIDI-File (SMF).

1988 Umwandlung auf: MIDI Version 4.1

1991 General MIDI (GM), General Standard (GS)

1992 MIDI Machine Control

 

 

MIDI und Entwicklungen am Computermarkt

 

Die Verwaltung von MIDI ist stets abhängig gewesen von den Rechnertypen, auf denen sie betrieben wurde. Bei der Anwendung von Computern in der Musik spielt die sprichwörtliche Armut von Musikern eine wichtige Rolle. Der geringe Preis eines Rechners ist ein wichtiges Argument für die Eignung zur Anwendung durch Musiker.

Zunächst wurde der Softwaresequenzerbetrieb für Macintosh-Computer ermöglicht, war aber nicht sehr betriebssicher.

Mit der Entwicklung von Software für den Commodore C64 ("Volkscomputer") war MIDI-Sequencing auch für Breitenanwendung erschwinglich geworden; beliebtes Programm war der Pro-16 des heutigen Cubase-Anbieters Steinberg.

1987 erschien der Atari ST als beliebter Home-Computer auf dem Markt, bei dem das MIDI-Interface bereits eingebaut war. Er bot gegenüber dem Commodore-Rechner eine Desktop-Oberfläche. Als MIDI-Sequenzer boten in Deutschland und Europa die Firma Steinberg den Twenty-four, später Cubase und die Firma C-Lab Creator/Notator und C-Lab (später Emagic) Notator Logic (später Logic) an.

Der Atari ST ist in Europa zum beliebtesten Musikanwendungscomputer geworden und dient bis heute als reine MIDI-Station noch in vielen kleinen Studios. Als Rechner galt er bereits drei bis vier Jahre nach seinem Erscheinen als veraltet und wurde von Computerfans als Spielzeug belächelt, hat aber zehn Jahre lang und länger (auch professionellen) Musikanwendern —speziell MIDI-Usern- gute Dienste geleistet.

Er erfüllt in hohem Maße das oben genannte Preiskriterium und ist ein Beispiel für eine produktive Verweigerungshaltung, die man in gewissem Grade jedem Computeranwender in der Musik anempfehlen kann. Es ist in vielen Fällen klüger,seinen alten Rechner zu halten. Wird er virtuos bedient, ist er immer schneller als ein neues Modell, das einen vor Bedienungsprobleme stellt.

Der Komponist Trevor Wishart fertigt seine äußerst aufwendigen Kompositionen auf zwei alten Amiga-Rechnern und begrüßt die z.T. entstehenden langen Rechenzeiten, während derer man gut nachdenken kann.